Angst vor Ausländern Anti - Ziganismus Trümmerschutt aus Rothenburgsort Kinderfeste bei Eberhard Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit

 

© Anke Schulz

Die ersten Nachkriegsjahre

Angst vor Ausländern

Die entkräfteten und unterernährten Überlebenden der Lager und des KZs im Friedrichshulder Weg wurden in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg von vielen Anwohnern als bedrohliche Konkurrenz erlebt. Es kursierten zahlreiche Berichte über Diebstähle und Plünderungen in den umgebenden Kleingärten durch die "displaced persons," wie die Überlebenden von den Alliierten genannt wurden. Eine Zeitzeugin erinnert sich: "Als der Krieg zuende war, lag mein Mann noch im Lazarett in Pinneberg. Da bin ich hin mit dem Fahrrad nach Pinneberg auch durch den Friedrichshulder Weg gefahren. Da saßen die Gefangenen draußen, die Frauen, und lausten sich und machten sich schön, sie blieben da noch bei dem Lager. Viele haben erzählt, dass sie andere, also unsere Leute, überfallen und ihnen alles weggenommen haben, also Uhren und so weiter. Ich bin auch losgefahren, ich hatte auch ne Uhr um, also mir ist nichts passiert. Mein Mann ist auch diesen Weg gegangen und er wurde nicht behelligt, aber anderen Soldaten, denen haben sie alles abgenommen was sie bei sich trugen."
Beschwerden über jüdische KZ-Häftlinge seitens der Behörden in einer "Niederschrift über die Besprechung der Sozialarbeitsgemeinschaft am 7. Juli 1945 lesen sich so: "Völlig eigenmächtig nisten diese Leute sich dann immer wieder im Haus Neuerburg ein." In Lurup und Eidelstedt waren die Behörden aufgrund der zahlreichen Lager in diesem Raum mit zahlreichen Flüchtlingsströmen konfrontiert. Am 7. Juli 1945 wurde zu Protokoll gegeben: " Flüchtlinge, die nach dem Norden wollen, können im übrigen im Durchgangslager der Polizei, Elbgaustraße 2, unterkommen." Zunächst waren die Behörden, deren Mitarbeiter noch in der NS-Zeit rekrutiert worden waren, an einer schnellen Abschiebung dieser Menschen interessiert: die "nicht-hamburgischen und besonders die kriminellen KZ-Häftlinge" sollten Hamburg umgehend verlassen. "Herr R. empfiehlt, die Durchschleusung stärker zu betreiben. In den Lägern melden sich viele Insassen für eine Durchschleusung, stellen sich dann aber nicht ein. Es wird vermutet, daß sie sich nur unter einem gewissen Druck meldeten, Hamburg aber ernsthaft gar nicht verlassen wollen. Nach der Meldung wechseln sie vermutlich das Lager. In den Lägern Elbgaustraße 2, Niedergeorgswerder und Tangerstraße werden sie vorübergehend ohne Einweisungsschein aufgenommen." Aus einer Notiz der Sozialarbeitsgemeinschaft: "Herr R. bittet, dem Deutschen Roten Kreuz umgehend ein Lager mit etwa 250 Plätzen für die Unterbringung von Flüchtlingen zuzuweisen. Die Aufnahme einer Gruppe Österreicher, die in der Lederstraße unterkommen sollten, klappte dort heute nacht nicht. Nach vielen Irrfahrten konnte schließlich mit Hilfe der Militärregierung eine Unterbringung stattfinden. Herr R. bittet die Lagerbetreuung, Freiplätze in Lägern nur aufzugeben, wenn diese auch wirklich vorhanden sind." Die Überlebenden der Lager der italienischen Militärinternierten konnten wieder in ihre Heimat zurückkehren, wie eine kurze Notiz in den Akten verrät: "Täglich 1500 Italiener von Hamburg aus abtransportiert"
Kurt Erlebach berichtet, dass in der Jugendorganisation der KPD, der FJ, die Mädchen von jeweils zwei Jungen nach Hause gebracht wurden, weil Überfälle vor allem von den Ausländern, von Polen und Russen, den Überlebenden der Zwangsarbeiterlager, befürchtet wurden. Die rassistische Blickweise auf die vermeintlich kriminellen »Untermenschen aus dem Osten« der sich als deutsch begreifenden Bevölkerung war nahtlos in die Nachkriegszeit übergegangen.

Anti-Ziganismus bei den Luruper Behörden

Mit dem Ende der faschistischen Gewaltherrschaft in Deutschland verschwanden also keineswegs die Ressentiments und Vorurteile, aus denen heraus die Vernichtungspolitik der Nazis möglich gewesen war. Feindseligkeiten gegenüber Sinti und Roma waren nach wie vor weit verbreitet. Am 26.06.1945 beschwerte sich das Polizeirevier Lurup beim Hamburger Polizeipräsidenten über den "starken Zuzug von Rasseangehörigen" (der »Zigeuner«), wo doch "kaum für deutsche Volksgenossen Unterbringungsmöglichkeiten bestehen". Dadurch trete eine "gewisse Beunruhigung" in der Bevölkerung auf, diese Menschen würden als "Belästigung" wahrgenommen. "Mancher deutsche ausgebombte Volksgenosse hätte das Land, das den Zigeunern zugeteilt wurde, gerne bestellt und restlos ausgenutzt." Die »Zigeuner« nutzten das Land, so der Revier-Oberstleutnant, nicht restlos aus im Sinne der "Grünlandaktion". So wurden die Überlebenden der Vernichtungslager, die es vermocht hatten, in die westlichen Besatzungszonen zurück zu fliehen und in Lurup wieder eine neue Heimat zu finden hofften, von den Behörden wahrgenommen. Um den Preis der Verleugnung ihrer Herkunftskultur versuchten einige Sinti und Roma, wie in der Vorkriegszeit sich in die Mehrheitsbevölkerung einzufügen. Andere grenzten sich von dieser Mehrheitsbevölkerung selbstbewusst ab und lebten in eigenen Enklaven. So bestand in einer Kiesgrube nahe der Lederstraße bis in die 50er Jahre hinein eine selbstverwaltete Gemeinschaft von Sinti und Roma. "Im Wäldchen an der Damschkestrasse, da haben die gewohnt in ihren Wagen und da wohnte auch wie sagt man der König von denen der wohnte hier nach dem Krieg. Die hatten auch in einer Kiesgrube gesiedelt, am Hellgrundweg zum Volkspark hin, da war die Kiesgrube." Die Ressentiments und Vorurteile der Luruper Mehrheitsbevölkerung bestanden ungebrochen, teilweise bis heute, wie es auch diese Aussagen alter Luruperinnen verdeutlichen: "Das war ne ganze Horde, 30 waren das bestimmt, ne ganze Sippe, oder ne Familie war das, mehr waren es nicht, das würde ich nicht sagen, aber bei denen weiß man ja nie, die hatten mehrere Wagen."
Die Feindbilder der Mehrheitsbevölkerung hatten unter der faschistischen Terrorregime mit dazu beigetragen, dass über 70% der europäischen Sinti und Roma in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Die Überlebenden fanden in der Nachkriegszeit kaum Verständnis, und eine Entschädigung wurde Sinti und Roma nur in den seltensten Fällen gezahlt. Noch in den 70er Jahren gab es eine breite Bürgerfront aus nahezu allen Parteien gegen Wohnwagen von Sinti und Roma in der Stadionstraße. Bleibt zu hoffen, dass nicht nur in Lurup durch eine gezielte Förderung der Bildung und Kultur dieser Minderheit versucht wird, die alten Feindbilder abzulegen und Brücken der Verständigung zu bauen.

Kohlen, Zucker und Eier klauen

Wißt ihr noch, wie einst verschrie'n
War'n die Nahrungs-Kalorien?
Neunzehnhundertfünfundvierzig
Jeder noch erinnern wird sich
Wie die Nahrung ziemlich mager
Und die Menschen dünn und hager!
Denn achthundert Kalorien
Bringt den Menschen nicht zum Blühen.
Zucker, Kaffee, Mehl und Butter
Sowie andr'es Menschenfutter
Alles gab's auf Karten nur,
Und die menschliche Natur
Konnte, aus bekannten Gründen
Nicht Befried'gung damit finden!
Schwarzmarkt blüht an allen Ecken
Alles, was man konnt, entdecken
Kauft man, wenn man's konnt erschwingen
Um den Hunger zu bezwingen.
(Hermes-Betriebszeitung 1950)

Wie überall in Deutschland war die Zeit unmittelbar nach dem Krieg geprägt von Hunger und Entbehrung. Der Schwarzhandel blühte. Die Soldaten entledigten sich unmittelbar nach Kriegsende ihrer Waffenlager, mancher Graben, manches Feld war auf einmal voller Gewehre, hingeworfen von Leuten, die Razzien fürchteten. Die ersten Prozesse gegen NS-Verbrechen fanden statt, und die ehemaligen Machthaber versuchten mit allen Tricks, ihre Spuren zu verwischen. Viele Kriegsversehrte und Flüchtlinge suchten auch in Hamburgs Westen Unterkunft und Verpflegung. Noch vor Kriegsende waren beispielsweise die "Räume im ehemaligen Siechhaus in Bahrenfeld für Fliegergeschädigte hergerichtet" worden. Mit einem Erlass der britischen Militärregierung vom 6. Nov. 45 wurde die Zuständigkeit für Flüchtlinge in einer besonderen Abteilung, der sogenannten Flüchtlingsabteilung, bearbeitet. Diese musste informiert werden über Wanderungsbewegungen der Zivilbevölkerung, die Lebensmittelkartenausgabe sowie die Lage auf dem Schwarzen Markt.

Siedlung Veermoor Siedlung Veermoor Nissenhütten  
© Fotos: Archiv Thälmann Gedenkstätte

Aus der Schweiz erreichen Hamburg Spenden für die notleidende Bevölkerung, wie z.B. Schuhe, Lebensmittel. Viele Flüchtlinge fürchteten, selbst für die Behandlungskosten für Krankheiten wie Geschlechtskrankheiten und TBC aufkommen zu müssen, die Finanzierung der Arztkosten war nicht geregelt und wurde unterschiedlich gehandhabt. Viele konnten aus den Krankenhäusern nicht entlassen werden, weil sie keine geeignete Bekleidung hatten. In dieser Situation wurden die Notunterkünfte in Hamburg statistisch erfasst, dazu gehörten auch die Wohnlauben, insg. 512000. Damit kam auch den Randgemeinden Hamburgs eine besondere Bedeutung zu.
In einem Auszug aus der Niederschrift über die Besprechung mit den Leitern der Sozialabteilung der Ortsämter und Ortsdienststellen am 26.4.47 heißt es: "Eine Feststellung des Wohnungsamtes hat ergeben, daß jeder 5. Hamburger in einer Notunterkunft (Behelfsheim, Wohnlaube, Bunker, Keller in Trümmern, Nissen-Hütte, Baracke usw.) wohnt, und daß auf den einzelnen Einwohner nur ca. 5,6 qm Wohnraum fällt."
Viele Menschen überlebten durch Schiebereien, Kohlenklau, Diebstahl - weil die Lebensmittelrationen nicht den Kalorienbedarf eines Erwachsenen decken konnten und die Bekleidung bei weitem nicht mehr ausreichte. Die Hamburger Volkszeitung, Hauspostille der KPD, vermittelt ein Soziogramm dieser Zeit:
"Einbrecher erbeuteten in der Weihnachtsnacht in einem Luruper Kolonialwarengeschäft 2 ½ Zentner Zucker, ½ Zentner Marmelade und andere Lebensmittel."
"Polizei verhinderte am Sonnabend in Eidelstedt und in der Rosenhofstrasse die Beraubung von Güterzügen, die von Plünderern angehalten worden waren, und nahm 4 Erwachsene und 4 Jugendliche fest."
"Etwa 300 Menschen hatten sich entlang der Eisenbahnstrecke Langenfelde-Eidelstedt eingefunden, um durchfahrende Kohlenzüge zu plündern. Ein Überfallkommando nahm 42 Personen wegen unberechtigten Aufenthaltes im Sperrgebiet fest und beschlagnahmte 5 Zentner Kohlen."
Verschiedenste Zeitzeuginnen, die selbst heute noch nicht genannt werden möchten, haben mir versichert, dass es bestimmt noch mehr Menschen als 300 gewesen waren. "Es war ein kleiner Volksaufstand".
Die Ernährungslage der Menschen nicht nur in Lurup war ausgesprochen schlecht. Erneut wurde deutlich, wie wichtig die Möglichkeit zur Subsistenzwirtschaft für alle Bevölkerungsgruppen war. Den allgemeinen Gesundheitszustand deuten weitere Artikel aus der Hamburger Volkszeitung von 1946 an:
"Für die Bevölkerung sind die neuen Ernährungssätze eine arge Enttäuschung. gegenüber der 92. Periode wird es weniger Fleisch und Fett geben. Die Broterhöhung kann diese Kürzung nicht ausgleichen, denn die Fett- und Eiweißrationen, die für die Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitskraft von entscheidender Bedeutung sind, liegen unter dem Existenzminimum.
"Ernährungsschwierigkeiten haben bei Conz Electricitäts-Gesellschaft m. b. h., Hamburg Bahrenfeld, zu Arbeitszeitverkürzung und starkem Leistungsabfall geführt. Zur objektiven Feststellung des Gesundheitszustandes wurden deshalb auf Veranlassung von Betriebsrat und Geschäftsleitung etwa die Hälfte aller erwachsenen Beschäftigten, ärztlich untersucht." Das Gutachten stellte u.a. bei 92% der Männer und 90% der Frauen klinische Zeichen von Unterernährung fest, bei 22% Hunger-Ödeme."
Wieder wurde die Fähigkeit zur Selbsthilfe und zur Eigeninitiative herausgefordert. Das geschah nicht immer in Übereinstimmung mit dem Willen der Behörden. In der Siedlung Elbkamp und im Farnhornweg mussten die Menschen wie überall erfinderisch sein.
"Es gab keine Familie, die nicht unter den Folgen dieses unseligen Krieges zu leiden gehabt hatte. Zu den persönlichen, nicht wiedergutzumachenden Verlusten kamen die Sorgen und Nöte um Verpflegung, Kleidung und Heizung. Es gab eine Nacht in Lurup, da war durch wieder einmal die sprichwörtliche Eigenleistung ein kleines Wäldchen abgeholzt worden. Heute würden sich die Umweltschützer sicherlich die Haare raufen, doch hätten sie in ähnlicher Situation die warme Stube nicht auch vorgezogen?"
Nicht wenige Luruper versuchten auf allen erdenklichen Wegen das Nötigste zu organisieren, wer etwas besaß, musste fürchten, es durch Diebstahl wieder zu verlieren:
"In der schlechten Zeit waren es auch die eigenen Leute aus der Umgebung gewesen, die einen beklauten. Unser Nachbar hatte sich am Tage bis spät Abend um zehn einen Schuppen gebaut für seine Geräte. Er hatte noch was zu erledigen, als er um Mitternacht nach Hause kam, hatten Diebe den Schuppen wieder abgebaut und das ganze Holz geklaut. Die wurden zwar erwischt und das Holz wurde sichergestellt, aber es war ja erst mal alles kaputt. Aber die haben das ja auch aus Not gemacht."
Aus einem Artikel der Hamburger Volkszeitung von 1946:
"Vom Schwarzen Markt
Am Freitag um Mitternacht stellte ein Polizeimeister am Luruper Weg 6 Männer, die bei seinem Herannahen 5 Kisten abstellten. Die Kisten enthielten je 360 Eier, die kurz zuvor aus einem Großhandelslager in der Nähe gestohlen worden waren."
Besonders schwer war es, an Feuerung heranzukommen. Kohlenklau wurde systematisch betrieben, ohne ihn war eine Grundversorgung mit Heizmaterialien nicht möglich. Das konnte manchmal kuriose Erlebnisse mit sich bringen:
"Wenn die nun vom Kohlenklau kamen mussten sie ja zur Bahnstation, mussten also bei uns vorbei. Die sind mit ihren Säcken bis zu unserem Haus gekommen und dann konnten die meisten nicht weiter. Die waren völlig erschöpft. Dann haben die ihre Kohlen auf unseren Pfeiler gesetzt und haben geklopft und gefragt, ob wir nicht helfen könnten. Mein Mann war bei der Polizei, und wenn er dann gerade nach Hause gekommen war, war er ja noch in Uniform. Wenn er dann die Tür aufgemacht hat - können sie sich ja vorstellen - dann sind die gelaufen."

Rothenburgs Trümmerschutt nach Lurup

Der Krieg, in den die nationalsozialistische Ideologie geführt hatte, hatte zwei Drittel der Stadt Hamburg zerstört. Auch in Lurup fielen einige Gebäude den Bombenangriffen zum Opfer, aber in weiten Teilen waren die Stadtrandsiedlungen verschont geblieben. Doch wohin mit den Trümmern der Stadt Hamburg? Auch Lurup musste seinen Teil übernehmen. Am Volkspark nahe dem Farnhornweg wurden die Trümmer von Rothenburgsort und anderen zerstörten Hafengebieten Hamburgs abgelagert:
"Das dahinten ist Rothenburgsort und wie heißen die Stadtteile alle, die Trümmer, das ist hier hinter, bis zum Friedhof hin, das war früher ganz tief, das haben sie alles aufgeschüttet mit Loren, bis zu unserer Grenze ran ist alles aufgefüllt worden." Auch das Lupinental im Rugenbarg wurde mit Trümmerschutt aufgefüllt, so dass von der einst schönen Grünfläche wenig übrig geblieben ist.

Die ersten Kinderfeste bei Eberhard

Noch waren viele Männer in Kriegsgefangenschaft, aber nach und nach kehrten sie zurück. Viele versuchten, mit den Uniformen auch ihre Verstrickung in das NS-Regime abzulegen.
"Mein Mann war noch in Pinneberg im Lazarett, ich wollte ihn mit dem Fahrrad abholen. Aber als ich dort ankam, war mein Mann nicht mehr da. Er war Sanitätsfeldwebel gewesen. Viele Soldaten hatten sich die Stabsabzeichen und Naziembleme von den Schultern gerissen. Viele der Militärärzte hingegen liefen noch mit allen Auszeichnungen umher. Einem dieser Ärzte hatte das nicht gepasst, dass auch mein Mann sich der Nazi-Abzeichen gleich entledigt hatte. Ausgerechnet der hatte ihm gesagt, er müsste sofort amputiert werden. Da hat mein Mann sich allein auf den Weg gemacht und ist alleine hierher gekommen auf Krücken. Und er ist dann später auch wieder gesund geworden. Das mit der Amputation hat er dem als Schikane ausgelegt."
Für viele Heimkehrer es schwer, ihre Kriegserlebnisse zu bewältigen und auch nur darüber zu reden. Schwer war es für die Männer auch, weil Emotionen als unmännlich galten. Auch die meisten Frauen, die im Kriege ihren Mann gestanden hatten, übernahmen wieder die traditionelle Frauenrolle. Teilweise versuchten Frauen gemeinsam, ihren Alltag erträglicher zu machen. Über eine Aktion in Harburg und Lurup, die von Frauen aller demokratischen Parteien, auch der konservativen, getragen worden war, heißt es in der Hamburger Volkszeitung:
"Hier sprechen Frauen des Volkes! Frauenleben - Frauenstreben - lachende Kinderaugen in Lurup: Wer hat heute mehr Sorgen als die Frauen? Die Wohnungen sind eng und unfreundlich geworden. Oft fehlt es am allernötigsten Hausrat. Das mehr als knappen Essen soll eingeteilt werden. Zeug und Schuhe, besonders für die Kinder, wollen auch unter den fleißigsten Händen nicht mehr zusammenhalten. Dazu der Kummer um so viele Lieben, von denen man nicht weiß, wo sie sind oder nur gar zu gut weiß, dass sie niemals wiederkommen werden. Das alles liegt wie ein ungeheurer seelischer Alpdruck auf den Frauengemütern. Und doch, Frauen wollen helfen, möchten besonders den Kindern Gesundheit und Frohsinn schenken. Eine Frau für sich allein kann es nicht schaffen. Aber Frauen sind ungeheuer erfinderisch, wenn es um ihr Liebstes und Teuerstes geht. Die Luruper Frauen veranstalteten einen fröhlichen Nachmittag für 260 Kinder mit Musik, von den Kindern einstudierten Märchen, Reigen und Liedern auf der Bühne und vor allem Kaffee und Kuchen und Süßigkeiten. Zum Schluß erhielt noch jedes Kind ein Geschenk, von Frauen und Männern in liebevoller Kleinarbeit gebastelt."
Eine derjenigen, die 1945 und 1946 Kinderfeste und Umzüge für die Kleingartenvereine in der Gaststätte Eberhard an der Ecke Luruper Hauptstraße/Rugenbarg organisierte, war auch Frieda Reimann gewesen, die Krieg und Zwangsarbeit überlebt hatte und gemeinsam mit ihrem schwer kranken Mann in ihrer Hütte im Kleiberweg wohnte. Auf einem dieser Kinderfeste speziell für die Siedlung Kiebitzmoor, so erzählte mir eine ehemalige Luruperin, spielten die Kinder Blockflöte auf der Bühne, und es gab Spenden von Geschäftsleuten, so dass unter die Kinder Bonbons verteilt werden konnten. Das war in der schlechten Zeit etwas besonderes.

Umzug eines Kleingartenvereins

Blumencorso

Koloniefest

© Fotos: Uwe Scheer 'Graffitti' - Bemalung einer Wand während eines Koloniefestes

Aber auch die Erwachsenen feierten wieder. Bei Eberhard gab es zum Beispiel Auftritte der Gruppe ‚Die Laternenanzünder', angekündigt auch in der Hamburger Volkszeitung: "Lurup, bei Eberhard, Luruper Hauptstr.: »Die Laternenanzünder« spielen ihr neues Programm ‚Der gesunde Menschenverstand', Beginn 19:30 Uhr"
Hinter diesem Namen verbarg sich eine damals bekannte Agit-Prop-Gruppe. Oft war ihr Refrain »Wir sind des Volkes Stimme - die Stimme der Massen sind wir« als künstlerische Unterstützung vor allem von KPD-Veranstaltungen zu hören. Sie traten vorwiegend in Hamburg auf und waren sehr beliebt. Die Gruppe sang vor allem Arbeiterlieder und führte Sprechgesänge auf.

Hier zeigt sich, dass die alte Arbeiterbewegung versuchte, wieder an ihre Traditionen anzuknüpfen. Aber längst hatte die Geschichte sie überholt. Mit der Gründung der SED zeichnete sich nicht nur die Spaltung Deutschlands ab, auch das Scheitern von Werten wie Demokratie und Selbstbestimmung, die viele Arbeiter einst zu der Arbeiterbewegung geführt hatten, zeigte sich deutlich mit der Entwicklung der DDR zu einer Diktatur. Die Arbeiterbewegung konnte sich von der Zerschlagung durch NS-Herrschaft und Stalinismus letztlich nicht wieder erholen. Damit wurden auch die Arbeitersiedlungen in Lurup zu einem Anachronismus.


Kleiner Exkurs: Der Umgang mit der Nationalsozialistischen Vergangenheit in Lurup nach 1945

Zum besseren Verständnis der Situation der Möglichkeiten der Benennung oder auch juristischen Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten im Raum in und um Lurup begangen wurden, darunter auch von Bürgern, die ihren Wohnort in Lurup hatten, möchte ich Ihnen die Gedenktafel der Luruper Auferstehungskirche vorstellen. Es handelt sich um eine Begleittafel, die zu einem ca. 2,5 m hohem Ehrenmal, das sich vor der Kirche befindet und 1935 errichtet wurde, Hintergrundinformationen liefert. Auf dem Ehrenmal sind die Namen aller im 1. Weltkrieg gefallenen Luruper eingraviert, geschmückt mit einem eisernen Kreuz.

Vorab ein Zitat des Heimatforschers Udo Krells von 1978, der jenen Pastor Karl Meyer, der 1935 das Ehrenmal mit dem eiseren Kreuz vor der Auferstehungskriche an der Luruper Hauptstraße errichten ließ, man kann fast sagen ‚huldvoll' beschreibt:

"Am 16. September 1934 wurde Karl Meyer als erster Pastor des zweiten Nienstedtener Bezirks mit Sitz in Lurup eingeführt. Mit großer und starker Liebe hat Pastor Meyer die Arbeit aufgenommen und durchgeführt; seine warmherzige Art gewann schnell die Herzen der Luruper, schreibt der spätere Pastor Dr. Josef Busse, und Pastor Willi Poppe ergänzt: Pastor Karl Meyer hat offenbar einen guten Kontakt zur Gemeinde gehabt und damit seinen Nachfolgern ein gutes Vorbild hinterlassen. … Der drohende Weltkrieg warf seine Schatten voraus. Pastor Karl Meyer wurde zur Wehrmacht eingezogen und sollte nicht wieder an seine so erfolgreich begonnene Wirkungsstätte zurückkehren. Er ist 1941 vor Leningrad für sein Vaterland gefallen." (Krell, S. 186f)


Aus der Gedenktafel der Auferstehungskirche vor dem Mahnmal von 1995 und dem Ehrenmal von 1935

"Im Herbst 1935, in der Amtszeit des ersten Pastors des Dorfes Lurup, Karl Meyer (1935 bis 1941)wurde das Ehrenmal mit dem eisernen Kreuz errichtet: in enger Zusammenarbeit mit der NSDAP Altona zur Erinnerung an die gefallenen Soldaten aus Lurup im 1. Weltkrieg. Diese politische Geste von Vertretern der NS Diktatur hatte das Ziel, die Heldenverehrung künftiger Gefallener vorzubereiten.

Altonaer Nachrichten vom 26. August 1935: "Die erste offizielle Einweihung eines … Ehrenmales fand am Sonntag unter starker Anteilnahme aller Gliederungen der Partei und Formationen statt. Von liebevollen Händen war die Stätte reichlich geschmückt, und von vier großen Masten grüßten die Fahnen des Reiches."

Im Oktober 1955, zur Zeit der Pastoren Dr. Busse und Poppe, wurden im Auftrag der Kirchengemeinde zwei weitere Tafel hinzugefügt mit den Inschriften "Den Toden aller Kriege" und "Tod soll nicht mehr sein (Offenbarung 20, Vers4" Diese Worte sind Ausdruck einer bitteren Einsicht. Die unzähligen Zivilopfer der beiden Weltkriege wurden den Menschen schmerzlich bewusst.
Im März 1993 brachte ein Antrag der jungen Gemeinde die Diskussion um das Ehrenmal erneut in Gang. Stein des Anstoßes war das eiserne Kreuz, das im sogenannten ‚Dritten Reich' als besondere Auszeichnung für militärische Leistungen vergeben worden war. Die Kirchengemeinde lud an den runden Tisch Vereine und Verbände Lurups ein, die am Volkstrauertag an diesem Ort Kränze niederlegen. Gemeinsam suchten sie nach einem angemessenen und zeitgemäßen Ausdruck unserer Schuldverstrickung und unserer Hoffnung auf Frieden.

Im Herbst 1994 gab es bei Aufräumarbeiten auf dem Kirchenboden eine Entdeckung - eben jene Zeitungsausgabe, aus der eingangs zitiert wurde. Allen an der Diskussion Beteiligten war klar: Das nächste feierliche Gedenken der Toten am Mahnmal konnte nicht mehr ungebrochen an die deutsche Geschichte anknüpfen.

Am 8. Mai 1995 dachte die Freie und Hansestadt Hamburg an das 50. Ende des 2. Weltkrieges: Kapitulation der Nazidiktatur, Befreiung für Europa. Unsere Kirchengemeinde stellte mit Spenden von Luruper Bürgern und Bürgerinnen einen 2,5 Tonnen schweren Findling mit folgender Inschrift auf: "Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" und "Die Toten beklagen wir, die Lebenden mahnen wir - 8. Mai 1995" In einem Gedenkgottesdienst zündete die Gemeinde Lichter an für die Opfer der Politik des Nationalsozialismus."

Aus dem Text dieser Gedenktafel wird meinem Empfinden nach deutlich, dass die Frage nach der möglichen Schuld bekannter Luruper Autoritäten schwierig zu diskutieren war und möglicherweise immer noch ist. Im Rahmen kritischer, meist ehemaliger Gemeindemitglieder der Neuapostolischen Kirche Lurups wird scharf darüber diskutiert, dass Alfred Nörenberg, einer der Verantwortlichen des 1944 verübten Massakers in den Winsbergen an Zwangsarbeitern des DAF Zwangsarbeiterlagers in der Lederstraße unbehelligt als gefeierter SS Sturmbannführer in der Neuapostolischen Gemeinde Lurup 2006 seinen 96jährigen Geburtstag feiern konnte. Der mittlerweile verstorbene Alfred Nörenberg wohnte in Lurup. Weder Albert Schweim, verantwortlicher Gestapo-Chef, der die Massenerschießungen in den Winsbergen beauftragt hatte, noch Walter Kümmel, Lagerleiter des Frauen - Außenlagers des KZ Neuengamme im Friedrichshulder Weg, sind juristisch zur Verantwortung gezogen worden. Die Enteignung und Verfolgung der jüdischen Grundbesitzer in Lurup wurde nach 1945 nicht wirklich aufgearbeitet, meiner Wahrnehmung nach sogar kollektiv verleugnet.

 

Für eine differenzierte Auseinandersetzung hier der Hinweis auf Uwe Schmidt, er skizziert im Sinne Norbert Freis in seinem Standardwerk 'Hamburger Schulen im Dritten Reich, Hamburg 2010', S. 731, Formen der Auseinandersetzung mit der Nationalsozialistischen Vergangenheit:
"Norbert Frei unterscheidet im Längsschnitt vier Phasen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, in die auch die Lehrenden an den Schulen einbezogen waren und sind: zunächst die Phase der politischen Säuberung (Entnazifizierung) (1945?1949) und die Phase der frühen "NS-Bewältigung" (1950?1960) mit den Leitvokabeln "Schlussstrich", "Amnestie" und "Integration", verbunden mit einer normativen Abgrenzung vom Nationalsozialismus. Damit sei ab 1950 der Weg frei gewesen für eine "beispiellose Strategie der Verharmlosung, Leugnung und Irreführung", die vielen tief in den Nationalsozialismus Verstrickten zur "Entlastung" verholfen habe und in der sich besonders auch die Kirchen exponiert hätten. Als Vehikel dieser Strategie hätten Parolen wie "Siegerjustiz" und "Kollektivschuld" gedient und die Neigung, "den fundamentalen Unrechtscharakter des NS Regimes
und seines Eroberungskrieges aus dem kollektiven Bewusstsein auszublenden". Eine dritte Phase der "Vergangenheitsbewältigung" (1960 - 1980) habe sich an Skandalen der "unbewältigten Vergangenheit" (Hans Globke, Theodor Oberländer) entzündet und sei gekennzeichnet gewesen durch eine zunehmende moralische Aufladung (Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963), die in die 68er-Bewegung gemündet habe. Schließlich konstatiert er eine vierte "Phase der Vergangenheitsbewahrung" (ab 1980) mit der Ausstrahlung des US-amerikanischen Films Holocaust (1979). Immer deutlicher kristallisiere sich seitdem die entscheidende Frage heraus, "welche Erinnerung an diese Vergangenheit künftig bewahrt werden soll" http://hup.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2010/101/pdf/HamburgUP_BGH64_Schmidt_Band1.pdf
Siehe auch Norbert Frei, Vergangenheistspolitik, die Anfänge der Bundesrepublik und die NS Vergangenheit, München 1996, hier einsehbar.

Es sind vor allem die Schulen und Kirchengemeinden in Lurup gewesen, die sich der Last der Vergangenheit gestellt haben, mit allen Konflikten, die das in einem so kleinen Stadtteil mit sich bringt. Der Gedenkstein im Friedrichshulder Weg an das Außenlager des KZ Neuengamme ist von der Geschwister - Scholl - Gesamtschule und der Emmaus - Kirchengemeinde initiiert worden, siehe auch den Artikel von Dr. Hans Ellger, ehemaliger Kirchenvorstand der Luruper Auferstehungsgemeinde: Ein Barackenlager am Friedrichshulder Weg - ein Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Neuengamme

 

 

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