© Anke Schulz
"Asoziale und Zigeuner": Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der Luruper Sinti und Roma während der NS-Herrschaft
Viele Arbeiter, die unterhalb der Armutsgrenze leben mussten, wurden von den
Nationalsozialisten als Asoziale stigmatisiert und verfolgt. Unter asozial"
wurden Menschen unterschiedlichster Lebensstile zusammengefasst, Alkoholkranke
ebenso wie Obdachlose, Menschen, die arm waren und ohne festen Wohnsitz oder
in den notdürftigsten Behausungen lebten. Sie wurden nach 1933 verschärft
kontrolliert und behördlichen Restriktionen unterworfen. Ein großer
Teil dieser Bevölkerungsgruppe wurde von den Nationalsozialisten aufgrund
ihrer Herkunft, als Juden oder Sinti, verfolgt, oder weil sie sich als Kommunisten
und Sozialdemokraten der Arbeiterbewegung zugehörig fühlten. Viele
der Menschen, die in der Fischindustrie arbeiteten, waren Sinti, und es ist
zu vermuten, dass die Ärmsten der Armen in den Fischkistensiedlungen die
Sinti Familien waren. Um das Ausmaß der Verfolgung und die nationalsozialistischen
Feindbilder transparenter zu machen, werden im folgenden Auszüge
aus zahlreichen NS-Akten zitiert, die mir 2001 freundlicherweise vom Archiv
der Roma- und Cinti Union e.V. zur Verfügung gestellt wurden. Mittlerweile
sind viele dieser Akten im Bestand der Sozialbehörde I im Hamburger Staatsarchiv
frei gegeben worden.
"Die eingewanderten Zigeuner haben sich vorwiegend mit asozialen und erbminderwertigen
Elementen gepaart. Aus diese Vermischungen ging daher zum großen Teil
ein asoziales Proletariat hervor." Hamburger Fremdenblatt vom 20.2.41
Anlässlich einer Inspektion von Elendswohnungen, vor allem
Kellerwohnungen im Osten Altonas wurden die Wohnungen von sozial angekrankten,
erbkranken und asozialen mit dem Argument, die Wohnungen seien der
Volksgesundheit abträglich, zwangsgeräumt, unter den Bewohnern wurden
viele als Zigeuner beschrieben. Auch die Geschlechterrollen wurden
einer Kontrolle unterzogen, die Familie sei nach einem Wort des Führers
... die wertvollste Einheit im Aufbau des ganzen Staatengefüges".
Demnach waren die Geschlechterrollen politisch strukturiert. Asozialität
konnte so der mangelnden Bereitschaft oder Fähigkeit der Frauen im Sinne
dieses Gefüges zu funktionieren zur Last gelegt werden. Geht man
den Gründen für das Absinken einer asozialen Familie nach, so ergibt
sich, dass nicht selten auch die Frau Schuld daran hat; ist sie unwirtschaftlich,
unmoralisch, leichtsinnig oder verantwortungslos, so wird auch ein gutartiger
Familienvater arbeitsunlustig und hemmungslos". So finden sich Zuschreibungen
in den NS-Akten wie diese: "Der Ehemann ist im Ganzen ein ordentlicher
aber etwas vertrottelter Mann. Die Ehefrau ist dagegen hochgradig schwachsinnig
und streitsüchtig." Von der Hamburger und Altonaer Fürsorgebehörde,
vor allem der Abteilung für Wohnungslose und Wanderer, wurden Zigeuner,
Schausteller, Rückwanderer und Schiffer als asoziale Bevölkerungsgruppen
genannt. Auch Artisten und Mitarbeiter von Wanderzirkussen wurden nach nationalsozialistischem
Menschenbild in diese Kategorie eingeordnet. Asoziale lassen durchweg
Sesshaftigkeit vermissen und wechseln ... ihre Wohnungen weitaus häufiger
als dies bei ordentlichen Familien normalerweise der Fall zu sein pflegt."
Dabei zeichnete sich in den 30er Jahren eine Wohnungsknappheit aus, die zu hohen
Mieten führte. Damit einher ging eine Zunahme an Obdachlosigkeit. Häufig
wurden in Aufzählungen von NS-Behörden Zigeuner als Synonym für
Asoziale aufgelistet. Innerhalb nationalsozialistischer Ideologie
galten Zigeuner als eine eigene, minderwertige, Rasse, die Merkmale der Asozialen
trug. In den Arbeitslosensiedlungen in Lurup fanden sich viele Menschen, die
in diese Kategorien hineinpassten. Die Behörden registrierten in der NS-Zeit
wie überall in Deutschland sorgsam, dass sich viele Menschen in Lurup aufhielten,
die unter anderem als Wanderer oder Stadtstreicher aus
dem nationalsozialistischen Rassekonzept herausfielen. Viele dieser Menschen
wurden in Konzentrationslager eingeliefert, einige von ihnen ermordet. Auf ein
möglicherweise im Lederweg für Sinti und Roma eingerichtetes Lager
wird im nächsten Abschnitt noch gesondert eingegangen. Die Zuordnung der
Nationalsozialisten zu den Kategorien Asozial und Zigeuner
konnte fließend sein. Von der Abteilung Wohnungslose und Wanderer wurden
"Wohnungslose und Wanderer, Zigeuner, Schausteller und Wanderer "
betreut. Was verstanden die Nationalsozialisten unter Zigeunern, wie wurden
diese Menschen von der Mehrheitsbevölkerung gesehen? Alte Luruper, die
damals ihre Jugend verbracht hatten, berichten immer wieder, dass es vor dem
Krieg viele Zigeuner in Lurup gegeben habe. Ob es sich wirklich
um Sinti und Roma gehandelt hat, kann ich nicht beurteilen. Möglich ist
auch, dass es sich um Menschen handelte, die dem Klischee nahe kamen, dem allgemein
verbreiteten Bild, dass von Zigeunern in der Mehrheitsbevölkerung
tradiert wird, wie folgende Erinnerung vermuten lässt:
Im Wald, da sind die Räuber, das waren nicht die Räuber, das
waren die Zigeuner. Die kamen jedes Jahr hier an im Wald und, nebenbei gesagt,
hübsche Frauen, wir waren ja Jungs, aber waren nette Leute, die gingen
auch mal mitm Bär hier los, und dann haben sie getrommelt und getanzt
um zu betteln und so weiter. Aber sonst waren sie so ganz in Ordnung, die Zigeuner.
Und jedes Jahr hier."
Ich werde im folgenden für die Benennung der Menschen, die sich selbst
so verstehen, den Begriff Sinti und Roma wählen. Kaum eine Bevölkerungsgruppe
wird von den Vertreterinnen und Vertretern der Dominanzkultur so undifferenziert
wahrgenommen wie die der Sinti und Roma, denen getreu den Klischees von vornherein
unterstellt wird, ein Zigeunerleben mit Bauwagen und Pferdchen am
Rande der Legalität zu führen. So kann es sich bei diesen Zuschreibungen
um projektive Fantasie handeln, beispielsweise wird immer wieder erzählt,
dass die Frauen besonders schön gewesen seien und sie erstaunlicherweise
gar nicht geklaut hätten. Solche Aussagen lassen auch erahnen, mit welchen
Vorurteilen die Luruper Mehrheitsbevölkerung diesen Menschen begegnete.
Vor allem in das Wäldchen an der Luruper Hauptstrasse zogen nach Aussagen
alter Luruper von Zeit zu Zeit Wohnwagen mit Menschen, die als Zigeuner
bezeichnet wurden. Dabei kann es sich jedoch auch um Betreiber von Kleinkunst
und Zirkusartisten gehandelt haben, ein Luruper erzählte, dass auch ein
Tanzbär vorgeführt worden ist. Die Schwester meines Großvaters,
der in der Eckhoffstraße (heute Jevenstedter Straße) gewohnt hatte,
war ab und zu mit Mann und Tochter zu Besuch, sie waren Zirkusartisten und brachten
bei ihren Besuchen Zirkustiere mit. Es mag fantastisch anmuten, aber gehörte
zur Arbeitsrealität des Artistenberufes, diese Tiere waren z.B. Kobra-Schlangen
in Warmhalteboxen und Alligatoren, eine Welt, die auf viele "exotisch"
und "fremdländisch" wirkt und in das Klischee vom Zigeunerleben
zu passen scheint. Auf dem Gelände nahe Böversland standen vor allem
im Sommer Wohnwagen, Zirkuszelte und Pferde, in denen manchmal Vorführungen
für die Luruper Kinder gegeben wurden.
Einige Sinti lebten in den 30er Jahren völlig integriert in die restliche
Bevölkerung in der Siedlung Mörgenröthe. Erst durch die Klassifizierung
der Nationalsozialisten wurden sie erneut als anders und bedrohlich wahrgenommen.
Schenkt man den NS-Akten Glauben, waren die meisten von ihnen Kleingewerbetreibende
gewesen, die Frauen handelten mit Spitzendecken, viele Männer betrieben
Handel mit Pferden, Töpfen, Körben oder waren Musiker. Aus einer Akte
über eine Frau, die einen Antrag auf einen Gewerbeschein gestellt hatte:
"Die Erteilung eines Gewerbescheines für Frau R. kann nicht befürwortet
werden. Es ist die Erfahrung gemacht worden, daß in den letzten Monaten
in erheblichem Umfange Zigeuner nach Hamburg zuziehen, und müssen m.E.
unbedingt Schritte unternommen werden, um diesen unerwünschten Zuzug abzubremsen.
Ein Zigeunerehepaar, welches hier seßhaft gemacht wird, zieht erfahrungsgemäß
gleich mehrere Zigeunerfamilien nach sich."
"Selbst die Anwendung der Richtsätze für Zugezogene erscheint
vielfach noch als zu weitgehend, weil die Zigeuner durch ihr gewohnheitsmässiges
Betteln, Handeln und Musizieren den tatsächlich notwendigen Lebensbedarf
in der Regel noch selbst erwerben und weil sie andererseits auch durch eine
ausreichende Unterstützung von ihren Gewohnheiten nicht ablassen würden.
Insbesondere stehe auch ihr Wohnungsbedarf erfahrungsgemäß auf so
niedriger Stufe, dass bei der Festsetzung der Unterstützung ein Mietaufwand
in der Regel ausser Betracht bleiben könne; jedenfalls bestehe kein Anlass,
Zigeunern eine Wohnung zu erhalten oder sich etwa wohnungsfürsorgerisch
um sie zu bemühen, wenn sie eine für unbewohnbar erklärte Wohnung
bezogen hätten. Altona habe die dort hilfsbedürftig gewordenen Zigeuner
in ein Lager gebracht mit dem Erfolg, dass eine Anzahl von ihnen nach Hamburg
abgewandert sei."
"Immer wieder versuchen sie aber, sich von der U-Arbeit zu drücken,
trotz der bei Nichtleistung der Arbeit für jeden versäumten Tag 1/5
des Wochensatzes von der Unterstützung gekürzt wird." über
die "charakteristische Arbeitsscheu der Zigeuner" vom 5.12.38
Die von Zigeunern geschlossenen Ehen wurden nicht anerkannt, die Kinder galten
den Behörden als unehelich, für sie wurde eine Amtsvormundschaft bestellt."
"sind sofort 1) alle Zigeunerinnen, die wegen Wahrsagens bestraft sind,
2) alle Zigeunerinnen, die in begründetem Verdacht des Wahrsagens stehen
oder gestanden haben, als Asoziale in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen.
Der begriff 'Zigeunerinnen' ist weit auszulegen. Auch Personen mit geringem
zigeunerischen Einschlag sind als Zigeuner zu behandeln." Danach Einweisung
in ein "Besserungs- und Arbeitslager"
Auch die Menschen, die tatsächlich umherzogen, sei es mit Wohnwagen, Bauwagen,
oder zu Fuß, oder als Schausteller arbeiteten, wurden teilweise undifferenziert
zu den Zigeunern gerechnet.
Für Zigeuner galten niedrigere Sätze für die Wohlfahrtsunterstützung,
"5 RM für die Mutter und 2 RM für jedes Kind" Wochenfürsorge
für Zigeunerinnen (Entbindungskosten und Milch) die arischen Unterstützungsempfängerinnen
zustanden wurden Zigeunerinnen verweigert die Ämter tauschten Daten über
Zigeuner ohne Wissen der Betroffenen untereinander aus. Nicht unerheblich war
der soziale Neid der SchreibtischtäterInnen, den Sätze wie dieser
in den Akten verraten: auffällig ist daß ein Teil der männliche
Zigeuner sehr gut angezogen geht." Familien, in denen ein Elternteil als
deutschstämmig" galt, wurden beispielsweise so gesehen: "Der
ganze Haushalt scheint doch stark beeinflusst von der Rassezugehörigkeit
der Frau. Wenn auch bei Umzug in eine neue Wohnung zunächst die Verhältnisse
ganz ordentlich sind, so verschmutzt doch die Wohnung infolge der Unsauberkeit
der Frau sehr schnell." "Keiner der Unterstützten hat einen Beruf
erlernt. Die Männer betätigen sich als Händler, Musiker Kammerjäger,
Artisten, Dompteure, die Frauen als Händlerinnen und Tänzerinnen."
"Nur ein Unterstützungsfall, in dem die Ehefrau Arierin ist, stellt
eine rühmliche Ausnahme dar." "Ein Zigeuner gehörte der
SA an. Der Sonderreferent beim Fürsorgewesen wurde z.Zt. verständigt
und hat das Erforderliche veranlasst." "Frau eines Deutschblütigen.
Viel los ist nach den Ermittlungen mit dem Mann nicht. Versuche, ihn zur Zahlung
heranzuziehen, waren bislang erfolglos." "Ausgeprägter Zigeunertyp."
Manche Stadtstreicher und Obdachlose
wurden als Asoziale ins KZ eingeliefert, so mein Urgroßvater, der als
obdachloser und umherziehender Alkoholiker auffällig geworden war, er wurde
wahrscheinlich als Asozialer in einem KZ, vielleicht in Sachsenhausen, ermordet.
Zuständig für die Erfassung dieser Menschen waren SchreibtischtäterInnen
der Fürsorgeabteilungen und vergleichbarer Behörden wie die Abteilung
für Wohnungslose und Wanderer, die ausführlich und skrupellos
der Anordnung einer Erfassung dieser Menschen nachgekommen sind.
Aus den Richtlinien zum Erlaß des RuPrMdj vom 14.12.1937, das Vorbeugende
Verbrechensbekämpfung durch die Polizei" regeln sollte, wird deutlich,
was unter Asozial und unter Zigeuner subsummiert wurde.
"ALS ASOZIAL GILT, wer durch gemeinschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches
Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen will.
Demnach sind z.B. asozial: a) Personen, die durch geringfügige, aber sich
immer wiederholende Gesetzesübertretungen sich der in einem nationalsozialistischen
Staat selbstverständlichen Ordnung nicht fügen wollen (z.B. Bettler,
Landstreicher, Zigeuner, Dirnen, Trunksüchtige, mit ansteckender Krankheit,
insbesondere Geschlechtskrankheit behaftete Personen, die sich den Maßnahmen
der Gesundheitsbehörden entziehen). b) Personen, ohne Rücksicht auf
etwaige Vorstrafen, die sich der Pflicht zur Arbeit entziehen und die Sorge
für ihren Unterhalt der Allgemeinheit überlassen (z.B. Arbeitsscheue,
Arbeitsverweigerer, Trunksüchtige)
Dieser Personenkreis sei in folgenden Orten in Vorbeugehaft zu nehmen:
bei Männern aus den Bezirken der Kriminalpolizeileitstellen ... Berlin,
Stettin, Hamburg, Bremen ... in Sachsenhausen b. Oranienburg,...................
bei Frauen aus dem gesamten Reichsgebiet z.Zt. in Lichtenburg bei Prettin/Elbe"
1938 wurde diese Anweisung erweitert:
"Zigeuner und nach Zigeunerart umherziehende Personen, wenn sie keinen
Willen zur geregelten Arbeit gezeigt haben oder straffällig geworden sind"
seien festzunehmen.
"Die Festgenommenen sind sofort dem Konzentrationslager Buchenwald bei
Weimar ... zu überführen."
Sinti und Roma in Lurup und Stellingen
Menschen, die nach der Sichtweise der Nationalsozialisten als 'Zigeuner' galten,
egal, ob sich selbst als zugehörig zur Kultur der Roma und Sinti verstanden
oder nicht, wurden systematisch verfolgt. Die Wohlfahrtsbehörde verweigerten
Zigeunern die Unterstützung mit der Begründung, sie seien
nicht in Hamburg gemeldet, nach den Erlassen über das Betteln wurden sie
dann verhaftet und in Verwahrung genommen. Der Straßenhandel war ihnen
ebenfalls untersagt worden. Bereits 1924 wurde ein Erlaß erteilt, der
ihnen den Pferdehandel verbot. Seit 1938 wurden sie in ganz Deutschland erfasst
und in Hamburg wie in anderen Großstädten in Lagern in den einzelnen
Stadtteilen zusammengetrieben. Viele von ihnen mussten Zwangsarbeit errichten,
so auch in den zahlreichen Kiesgruben. Es kam auch in Altonaer Gemeinden zu
Beschwerden wie die, dass die Zigeunerkinder mit den deutschen Kindern
zusammen gespielt hätten." Die Behörden ordneten für Sinti
und Roma Zwangsarbeit an, unabhängig davon, ob diese auf Wohlfahrtsunterstützung
angewiesen waren oder nicht.
"Anschliessend habe ich noch mit dem Referenten Herrn Ernst vom Arbeitsamt
Hamburg gesprochen, um ihn dafür zu interessieren, dass diese jungen arbeitsfähigen
Menschen dem Arbeitseinsatz dienstbar gemacht werden. Herr Ernst erklärte,
dass er bereits vor längerer Zeit sich mit der Frage beschäftigt habe
und zwar im Zusammenhang mit der Frage des zweckmäßigen Einsatzes
von Juden." "Mit der Versagung öffentlicher Fürsorge ist
bekanntlich die Schwierigkeit nicht behoben, weil den Zigeunern immer noch die
Möglichkeit bleibt, durch Handel (richtiger durch Bettel und Diebstahl)
sich die nötigen Unterhaltmittel zu beschaffen. Deshalb sollte grundsätzlich
der Wandergewerbeschein an Zigeuner nicht gegeben werden. ... Ferner müsste
jeder Zigeuner zur Arbeit gezwungen werden, wenn er der Polizei nicht nachweisen
kann, dass er einer einwandfreien Beschäftigung nach geht. Dabei dürfte
auf den 'erlernten Beruf' (in der Regel handelt es sich um Musiker) keine Rücksicht
genommen werden; schon deshalb nicht, weil für die Zigeuner doch wohl Sonderarbeitsmaßnahmen
eingerichtet werden müssten; denn ein freier Arbeitgeber wird sich kaum
bereit finden, Zigeuner zu dem festen Stamm seiner Arbeiter einzustellen. Diese
Massnahmen würden wahrscheinlich den meisten Zigeunern den Aufenthalt in
Deutschland verleiden, zumal sie wohl auch mit keinen Mitteln zu einer auch
nur bescheidenen Sesshaftigkeit zu bringen sein werden."
Die NS-Verbrechen an den Sinti und Roma scheint mir eng mit der Geschichte Lurups
und seiner angrenzenden Regionen verwoben. Am 17. Oktober 1939 ordnete Himmler
ein Festschreibungserlaß" an, wonach es Sinti und Roma unter
Androhung von KZ-Haft verboten wurde, ihre Heimatorte zu verlassen. Die später
festzunehmenden Zigeuner" sollten bis zu entgültigem Abtransport"
in besonderen Sammellagern" untergebracht werden. Selbst wer
einen Krankenbesuch bei auswärtigen Verwandten machte, riskierte, in ein
Konzentrationslager verschleppt zu werden." 1939 hatten die Machthaber,
vor allem die Arbeitsbehörde, geplant, ein zentrales Lager für Sinti
und Roma nahe der Damschkestraße (heute Farnhornweg) einzurichten. In
der damaligen Lederstraße, hinter der Siedlung Elbkamp, nahe dem Luruper
Volkspark, mussten sich möglicherweise Sinti und Roma zusammenfinden, bevor
sie verschleppt, in den Wallanlagen konzentriert und in die Vernichtungslager
nach Polen deportiert wurden. Auch im Rondenbarg in Bahrenfeld wurden Sinti
und Roma zur Zwangsarbeit zusammengetrieben, wie Artikel aus dem Hamburger Fremdenblatt
dokumentieren:
"Zigeuner sollen erzogen werden
Die 61 Zigeuner, von deren Schicksal wir seinerzeit schon berichtet haben und die sich seit vielen Wochen im Altonaer Obdachlosenasyl aufhalten, ohne dass die Stadt eine Möglichkeit sieht, diese unbequemen Nomaden wieder loszuwerden, sind jetzt im Zusammenhang mit der Verlegung des Altonaer Obdachlosenasyls in der Catharinenstraße nach dem Rondenbarg in Bahrenfeld in einem geschlossenen Lager interniert worden. Im Lager Rondenbarg sollen die Zigeuner zu anständigen und brauchbaren Menschen erzogen werden. Die Männer müssen hier aufbauende Arbeit verrichten, die Frauen sollen kochen und Hausarbeit tun."
"Die Zigeunerplage wird beseitigt Neue
Maßnahmen der Polizei - Hamburg fast ohne Zigeuner ist zu entnehmen, dass
alle als Zigeuner angesehenen Menschen rassebiologisch erfasst wurden, und zwar
von den Polizeidienststellen. Die Polizei bestimmt, an welchen Plätzen
und für welchen Zeitraum die Genehmigung von Lagern erteilt wird,, und
zwar schriftlich und unter Erhebung einer Gebühr. Aus den Dorfgebieten
sind Zigeuner mit polizeilichen Mitteln fernzuhalten. ..... Die Standesbeamten
werden weiterhin angewiesen, jede Eheschließung, jede Geburt und jeden
Sterbefall eines Zigeuners oder Zigeunermischlings der Kriminalpolizei zu melden.
Bei Aufgeboten ist das Ehetauglichkeitszeugnis zu verlangen. Auch die Gesundheitsämter
haben jeden bei ihnen vorkommenden Fall aus Zigeunerkreisen zu melden. Von Zeit
zu Zeit hat sich auch Hamburg mit der Zigeunerfrage etwas näher beschäftigen
müssen. Das war immer dann der Fall, wenn die berüchtigten Korpatsch-
und Rosenbergbanden ihren Wirkungskreis in unser Gebiet verlegten. Der größte
Teil dieser unerfreulichen Gesellen ist inzwischen unschädlich gemacht
worden"
Artikel Hamburger Fremdenblatt 20.12.1938
Behördenmeinungen des Arbeitsamtes und der Fürsorgebehörde lesen
sich z.B. so:
"Ich habe die Meinung ausgesprochen, dass es Sache der Polizei sein müsse,
hier einzugreifen und diese Menschen zur Erfüllung ihrer Plficht innerhalb
der Volksgemeinschaft einzuhalten, gegebenfalls durch Unterbringung in einem
Arbeitslager. Fürsorge und Arbeitsamt könnten an diesen Personen kreis
nicht herankommen, wenn er sich weder der Stempelkontrolle unterziehe noch öffentliche
Fürsorge für sich in Anspruch nähme. Ich habe ferner darauf aufmerksam
gemacht, dass das Arbeitsamt Hamburg beabsichtige, ebenso wie die Juden, auch
für die Zigeuner eine Notstandsarbeit in der Provinz einzurichten."
"Ich sehe die Sache so, dass die Poliezi gegenwärtig matt gesetzt
sei, nach dem die Zigeuner nach gewiesen hätten, dass sie der Auflage der
Polizei , sich eine Wohnung zu suchen, nicht nachkommen konnten, weil sie von
den Hauseigentümern nicht aufgenommen würden. Man solle deshalb ein
geschlossenes Lager verfügbar machen, in das die Familien eingewiesen würden,
wenn sie eine andere Wohnung nicht nachweisen könnten." "Dabei
habe ich von der Möglichkeit gesprochen, den Arbeitsplatz Rondenbarg für
diesen Zweck zu verwenden, ohne allerdings zu wissen, dass er von Abt. II/3b
bereits für andere Zwecke vorgesehen ist."
"Das Arbeitsamt Hamburg hat allerdings die Absicht, für den von ihm
betreuten Kreis von Zigeunern eine Notstandsmaßnahme in der Provinz einzurichten,
wie es bereits für Juden geschehen ist."
Ab 1939 wurde in Hamburg geplant, ein zentrales Lager für die Sinti und
Roma zu errichten, es sollte nicht nur nach der Ansicht vom Kreisamtsleiter
des Amtes für Volkswohlfahrt irgendwo an der Peripherie der Großstadt
die Zigeuner in Baracken untergebracht werden", um sie dort zur Arbeit
zu zwingen.. So wie man es keinem deutschen Menschen zumuten kann, mit
einem Juden zusammen zu arbeiten, kann man auch nicht verlangen, dass er seinen
Arbeitsplatz mit einem Zigeuner teilt." Als besonders günstig
für diesen Standort wurde von der Arbeitsbehörde das in Planung genommene
Lager in der Lederstraße angesehen.
Begründet wurde das Vorgehen gegen Sinti und Roma auch damit, dass immer
häufiger Beschwerden über Auftreten von Zigeunern in der Öffentlichkeit,
gerichtet vor allem an die Polizei, und in letzter Zeit auch an die Sozialverwaltung"
geführt worden seien.. Dabei seien die Wohnverhältnisse, die Unsauberkeit,
kurz, die Armut dieser Menschen als Beschwerdegrund vorgebracht worden. Besonders
viele Zigeuner ermittelte die Polizeibehörde an der Peripherie zu Altona,
vermutlich sind damit auch Bahrenfeld und Lurup gemeint.
"Die ständigen Klagen ,die bei der Polizei über das Verhalten
der Zigeuner eingehen (Beschwerden der Mitbewohner aus Häusern, in denen
Zigeuner wohnen, Beschwerden aus Schulen über das Verhalten der Zigeunerkinder,
Beschwerden der Einwohner aus Gegenden, in denen Zigeunerwagen aufgestellt sind,
Beschwerden über Unzucht treibende Zigeunerninnen) zwingen jetzt zur nachdrücklichen
Beseitigung dieser polizeiwidrigen Zustände. In Hamburg befinden sich z.Zt.
800 Zigeuner, darunter 2/3 Kinder. die Polizei beabsichtigt jetzt, alle diese
Zigeuner, gleich gültig ob sie in Wohnwagen oder in Mietshäusern wohnen,
an einer Stelle im hamburgischen Staatsgebiet zusammenzufassen, entweder mit
ihren Wohnwagen oder in Baracken. Von hier aus sollen die Männer und auch
die Frauen zur Arbeit gehen. Für Männer kommt nur Erdarbeit oder Arbeit
in Kiesgruben in Frage, für die Frauen nach Ansicht der Polizei vornehmlich
Arbeit in Fischfabriken. Männer und Frauen, die sich um Arbeit drücken,
in der Stadt beim Betteln oder sonstwie umherstreifend betroffen werden, werden
sofort ins Konzentrationslager gebracht. Nach Meinung der Polizei sei die geeignete
Gegend außerhalb der Stadt, in der die Zigeuner in der geschilderten Art
untergebracht werden in könnten, Harburg, in der Nähe der dort vorhandenen
Kiesgruben, oder Eidelstedt. Eidelstedt eigne sich deshalb wahrscheinlich noch
besser, weil in Harburg weniger Beschäftigungsmöglichkeiten für
Frauen vorhanden seine. Daß die Zigeuner bei der Arbeit nicht mit deutschblütigen
Arbeitern oder Arbeiterinnen den Arbeitsplatz teilen, müsse sichergestellt
werden. Die Aussprache ergab, daß die Sozialverwaltung - Arbeitsfürsorge
- als federführende Stelle in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbeschaffungsamt
die weiteren Maßnahmen durch führen solle."
Ein Internierungslager im Lederweg war also zeitweilig vor allem von der Behörde
für Arbeit als allgemeines Sammellager für Zigeuner zur Bewältigung
der Zigeunerplage" favorisiert worden, weil durch die Kiesgruben
nahe dem Volkspark der Einsatz der Zigeuner als Zwangsarbeiter volkswirtschaftlich
besonders effektiv sei.
Obersenator Schumann ... hält eine Ecke Eidelstedt/Lurup für
zweckmäßig für die Unterbringung, weil auch hier genügend
Arbeitsmöglichkeiten vorhanden seien"
Vermerk vom Obersenator Börinkmann vom 24. April 1939:
"Für den Fall der Zusammenfassung möchte ich nun ein Gelände
in Eidelstedt, gelegen am Lederweg, in Vorschlag bringen. Dieses Gelände
ist für die Errichtung eines Lagers groß genug und hat vor allen
Dingen den Vorzug, das in unmittelbarer Nähe ein Hartsteinwerk ist, das
ferner sich dort geeignete Kiesgruben und mehrere Futter- und Düngemittelfabriken
befinden, in denen die Zigeuner eingesetzt werden können. Darüber
hinaus besteht eine gute Verbindung von hier aus in das Gebiet der Baumschule.
Privathäuser befinden sich in dieser Gegend kaum. Vom Standpunkt des Arbeitseinsatzes
aus ist also diese Gegend günstig, auch ist hier nicht mit Wiedersprüchen
von Anliegern gegen die Zusammenfassung auf diesem Gelände, abgesehen vielleicht
von einigen wenigen Schrebergärtnern, zu rechnen. Zu bemerken ist noch,
dass nach meiner Information das Gelände Eigentum der Gemeinde ist. Zu
überlegen wäre noch eine Mittellösung, die darin besteht, dass
man zunächst die Zigeuner mit Wohnwagen hier zusammenfaßt."
"Der von der Sozialverwaltung in Eidelstedt vorläufig in Aussicht
genommene Platz für eine evtl lagermässige Zusammenfassung wurde von
Oberregierungsrat Bierkamp im übrigen auch für geeignet gehalten.
Die Wahl dieses Platzes wurde besonders begrüsst, weil auch dort gute Arbeitseinsatzmöglichkeiten
für die Zigeuner mit ihren Angehörigen wohl vorhanden seien."
"1. Abteilung VII-7 Prüfstelle, Fürsorger Lüdemann, ruft an und erbitttet Aufgabe der Zahl der in Unterstützung befindlichen arbeitsfähigen Zigeuner. Mitgeteilt, daß zurzeit 4 Zigeuner, darunter 2 Jugendliche sich in Unterstützung befinden und Pflichtarbeit machen. In Abteilung VII wird die Möglichkeit erwogen, durch die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung besondere nur für Zigeuner bestimmte Notstandsarbeiten einrichten zu lassen. Die Zigeuner müssen für E.1 und E.2, Erdarbeiten, arbeitsfähig sein. Es wird nicht angenommen, daß die Reichsanstalt bei der geringen Zahl der in Fürsorge befindlichen arbeitsfähigen Zigeuner auf den Wunsch der Abt. VII eingehen wird. Ab 1.4.38 wird die Zahl der durch Abteilung für Wo u. Wa zu unterstützenden Zigeuner durch Überweisung der jetzt noch in den übrigen hamburgischen Fürsorgeverbänden unterstützten Zigeuner voraussichtlich steigen. Um schon jetzt Unterlagen für die von Abt. VII erwogene Maßnahme zu beschaffen, erscheint es angebracht, die Zahl der unterstützten arbeitsfähigen Zigeuner von den in Betracht kommenden Fürsorgeverbänden zu erfahren. 2. Schreiben an die BFV Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek: Ich erbitte Mitteilung, wieviel arbeitsfähige Zigeuner sich zurzeit dort in Fürsorge befinden. Wieviel von den männlichen Zigeunern sind nach dortigem Ermessen arbeitsfähig, insbesondere für Erdarbeiten? 3.12.37 gez. Beckendorf Durchschlag an Abteilung II - Fürsorgeabteilung - zur Gen.Akte A.F. 83.26 zur gefl. Kenntnisnahme 3.12.37 Abteilung für Wohnungslose und Wanderer"
Der Lederweg, heute Lederstraße, befand
sich in der Nähe der Damaschkestraße und den Siedlungen Morgenröthe
und Elbkamp. Tatsächlich berichten Zeitzeuginnen, dass sich in dieses Gebiet
ab 1939 sehr viele Sinti und Roma mit Wohnwagen begeben hatten. Als Sammellager
für die gesamten in Hamburg wohnenden Sinti und Roma wurde diese Fläche
mit Hinweis auf städtebauliche Erwägungen jedoch nicht weiter ausgebaut.
Auf einer Besprechung am 3. Juli 1939 kam es zum Beschluß, eine Fläche
in Öjendorf dafür auszuwählen:
"Baurat Dr. Berlage äusssert sich hinsichtlich des Orts auch in ablehnendem
Sinne. Er weist insbesondere auf die verschiedenen städtebaulichen Gesichtspunkte
und auf den Bau der Reichsautobahn hin, die unmittelbar an der in Vorschlag
gebrachten Fläche vorbeigeführt werde. Er bittet ebenfalls, im Hinblick
auf die ganze städtebauliche Entwicklung der Hansestadt, deren Schwergewicht
im Westen liegen werde, die Absicht der Errichtung eines Zgeunerlagers in Eidelstadt
fallen zu lassen, und das Lager in einem anderen Stadtteil zu errichten."
Außerdem hatte die Ortsgruppe des Kreis Hamburg 7 (Eidelstedt) der N.S.D.A.P
Protest gegen das Lager angemeldet. Dennoch wurde an dieser Stelle ein Lager
errichtet, Dokumente und Zeugenaussagen belegen ein Lager
für ZwangsarbeiterInnen und Militärinternierte in der Lederstraße.
"40 Mann beim Bahnhof Eidelstedt im Kriegsgefangenenlager an der Lederstraße.
Keine Bedenken. Das Kriegsgefangenenlager Eidelstedt wird Auffanglager für
die gesamten 840 Kriegsgefangene; von dort Verteilung auf die übrige Bahnhöfe
wie angegeben"
Besprechung am 20.10.1939 beim Reichsstatthalter Auszug: "Oberregierungsrat
Bierkamp vomPolizeipräsidium weist darauf hin, dass gestern ein Schnellbrief
des SS-Sicherheitsamtes eingegangen sei, wonach sich die gesamten Zigeuner am
25., 26. und 27.10 1939 in ganz Deutschland bei den Polizeistellen zu melden
haben. Diese Meldungen müssen an Berlin weitergegeben werden, und Berlin
entscheidet dann, welche Zigeuner in Vorbeugungshaft genommenwerden müssen.
Gleichzeitig ist der Polizei auferlegt, ein Sammellager umgehend zu errichten,
wo die Zigeuner zusammengeschlossen werden sollen und zwar für eine gewisse
Übergangszeit. Wielange dieser Übergangszustand dauert, war der Polizei
nicht bekannt. Sie nimmt allerdings an, dass wohl sämtliche Zigeuner nach
dem Osten abtransportiert werden sollen. Dieser Berliner Erlass hat die Sachlage
völlig verändert. Es besteht Übereinstimmung darüber, dass
nunmehr der Polizeipräsident federführend ist und auch die Kosten
des von der Polizei zu errichtenden Sammellagers zu tragen hat. ... Der Reichsstatthalter
hat angeordnet, dass die Arbeiten in Öjendorf nicht zuende geführt
werden sollen, sondern gestoppt werden müssen."
Nach dem Reichserlass "Schnellbrief des SS-Sicherheitsamtes" nach
dem "am 25., 26., und 27. 10 1939 in ganz Deutschland" Zigeuner sich
"bei de Polizeistellen zu melden haben" nach dem "sämtliche
Zigeuner nach dem Osten abtransportiert werden sollen" wurden die alten
Lagerplätze, aber auch Torfstreuwerk hinter Ochsenzoll und Glasmoor wieder
relevant. "Die Gesamtzahl der unterzubringenden Zigeuner wird sich deshalb
erhöhen, weil die Zigeuner aus dem gesamte Kriminalleitbezirk zusammengefasst
werden müssen." Besprechung vom 20.10.1939 beim Reichsstatthalter
Es ist anzunehmen, dass dies unter Gewaltandrohungen seitens der Polizei und
der Gestapo geschah.
Am 27 April 1940 ordnete Himmler die Deportation von insgesamt 2500 Sinti
und Roma aus den westlichen und nordwestlichen Gebieten Deutschlands in das
Generalgouvernement" an, nachdem bereits Ende Februar in einer Rede
vor Berliner Gauleitern und anderen Parteifunktionären die Deportation
aller im Reichsgebiet lebenden Sinti und Roma angekündigt hatte. Im Mai
1940 gingen die ersten Deportationszüge mit Sinti und Roma in das Generalgouvernement"
ab; zuvor waren die Sinti- und Roma-Familien in speziellen Sammellagern"
in Hamburg, Köln und Hohenasperg bei Stuttgart inhaftiert worden Unter
den insgesamt 2800 Sinti und Roma, die schließlich in die polnischen Ghettos
und Konzentrationslager verschleppt wurden und dort größtenteils
umkamen, befanden sich auch viele Kinder."
Himmler in einer Rede vor Berliner Gauleitern 1940:
"Eine Frage für sich sind die Zigeuner. Die will ich, wenn es geht,
noch in diesem Jahr raustun. Es sind im ganzen Reich 30 000, die aber rassisch
einen sehr großen Schaden anrichten."
Aus einem Schnellbrief des Reichsführer SS und Chefs der Deutschen Polizei
Heydrich vom 27. April 1940:
"Der erste Transport von Zigeunern nach dem Generalgouvernement wird Mitte
Mai in Stärke von 2500 Personen in geschlossenen Sippen in
Marsch gesetzt werden. Es kommen vorerst die in den westlichen und nordwestlichen
Grenzgebieten aufhältlichen Zigeuner in Betracht. Zu diesem Zwecke werden
im Gebiet der Kriminalpolizeileitstellen Hamburg und Bremen einerseits sowie
der Kriminalpolizeileitstellen Köln, Düsseldorf und Hannover andererseits
je 1000 und der Kriminalpolizei(leit)stellen Stuttgart und Frankfurt a/M. zusammen
500 Personen an noch zu bestimmenden Sammelplätzen zusammengezogen und
in vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD zur Verfügung gestellte Eisenbahnzüge
verladen werden."
"(1) Durch RdERl. des Reichssicherheitshauptamtes v.17.10.1939 - RKPA.
149/39 - an alle Kriminalpol.-(Leit-)Stellen (nicht veröffentlicht) sind
die Orts- pol.-Behörden und die Gend. u.a. angewiesen worden, den in ihrem
Bereich am 25., 26. und 27.10.1939 aufhältlichen Zigeunern und Zigeunermischlingen
die Auflage zu erteilen, ab sofort bis auf weiteres ihren derzeitigen Wohnsitz
oder Aufenthaltsort ohne polizeiliche Erlaubnis nicht zu verlassen. Für
den Fall der Übertretung der Auflage war Einweisung in ein polizeiliches
Arbeitslager anzudrohen und durchzuführen.ein reibungsloser Arbeitseinsatz
der zum Aufenthalt an einem bestimmten Ort verpflichteten Zigeuner und
Zigeunermischlinge sei zu gewährleisten, u.a. durch Ausgangssperre
aus dem Lager."
1940 wurden die Luruper Sinti und Roma, die bis dahin nicht emigrieren konnten,
wie überall in Hamburg in den Hamburger Wallanlagen zusammengetrieben und
in Viehwaggons in die Vernichtungslager nach Polen transportiert. Das Vermögen
dieser Menschen wurde als volks- und staatsfeindlich" beschlagnahmt
und eingezogen. In Hamburg regelte Obersenatsrat Bornemann gemeinsam mit Kriminalrat
Lyss die Sicherstellung und Verwahrung der von den Zigeunern zurückgelassenen
Hausräte, Grundstücke, Pferde, Wagen und sonstiger Wertsachen."
Zigeuner die mit einem deutschblütigen rechtsgültig verheiratet waren,
wurden nicht abgeschoben, aber ihre Kinder auch nicht eingeschult. Für
Kstelle 7 werden in einer Statistik "aus der Zigeunerkartei der Zigeunernachrichtenstelle
beim Polizeipräsidium" 33 Parteien und 93 Personen angegeben, wenn
das identisch ist mit Kreis VII betrifft diese Zahl Lurup und Eidelstedt.
"Feststellung bei der Zigeunernachrichtenstelle .... Nach Mitteilung der
Zigeunernachrichtenstelle sollen die Familien, in denen entweder der Mann oder
die Frau deutschstämmig sind, nicht umgesiedelt werden. Dagegen sollen
Familien, in denen Mann und Frau nicht verheiratet sind, diejenigen Personen,
die der Zigeunerrasse angehören, umgesiedelt werden. ....Es leben nur 23
vollblütige Zigeuner in Hamburg und zwar ... im Gebiet der K.ST.7 4 männliche
und 1 weibliche über 18 Jahre" 18. Juli 1941
Möglicherweise waren von diesen Deportationen einige Menschen ausgenommen.
Am 2. Mai 1940 wurde im Verwaltungsamt III der Sozialverwaltung in einem Auszug
der Niederschrift über die 117. Amtsleitersitzung vermerkt:
Der Abzug der Zigeuner nach Polen ist reibungslos durchgeführt worden.
Es sind noch etwa 464 Zigeuner, davon 43 Kinder, in Hamburg geblieben, über
die bisher nichts nachteiliges bekannt geworden ist. Diese Restgruppe soll auch
voraussichtlich hier bleiben."
Oberschulrat i.V. 31. Mai 1941 an die Sozialverwaltung Landesfürsorgeamt
Sonderstelle Auszug " Vor etwa 1 1/2 Jahren besuchten viele Zigeunerkinder
hauptsächtlich in der Innenstadt und in Altona, Volks- und Hilfsschulen.
Diese Kinder verschwanden plötzlich aus Hamburg. Vermutlich sind sie auf
Betreiben anderer Stellen (der Polizei?) nach dem Osten abgeschoben worden.
In letzterer Zeit tauchen vereinzelt wieder Zigeunerkinder in Hamburg auf."
Anscheinend - glaubt man den NS-Akten - hatten es einige Sinti und Roma vermocht,
aus den Vernichtungslagern im Osten zu fliehen. In Lurup in der Luruper Hauptstrasse,
soll der von Berlin aus eingesetzte Zigeunersprecher ..." gelebt
haben der von der Sonderstelle der Sozialverwaltung nach 1944 dazu verpflichtet
wurde, alle zurückgekehrten Zigeuner" bei der Zigeunerdienststelle
zu melden. In der Akte unter der dem Betreff "aus Lublin zugezogene Zigeuner,
die z.Zt. auf Veranlassung des Reichskriminal-Polizeiamtes Berlin nach dem Osten
ausgesiedelt wurden" heißt es:
"Es handelt sich um einen Teil jener Zigeuner, die im Jahre 1940 von Hamburg
aus nach dem Osten ausgesiedelt wurden und die nun als Flüchtlinge infolge
der militärischen Ereignisse in Polen wieder zurückgekehrt und bei
Verwandten oder Sippenmitgliedern untergekommen sind."
Die Fürsorgeaufwendungen" für diese Menschen müssten
auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt" bleiben.
Männer wie Frauen sollten in der Rüstungsindustrie arbeiten.
Romani Rose schreibt darüber:
"Die wenigen, denen es gelang, aus dem Generalgouvernement"
(gemeint ist Polen, A.S.R.) zu fliehen und in ihre Heimatorte zurückzukehren,
wurden in Konzentrationslager verschleppt oder nach mehrmonatiger Internierung
erneut nach Polen deportiert. Für Hamburg ist nachgewiesen, dass 80% der
von dort verschleppten Sinti und Roma in den polnischen Ghettos und Konzentrationslagern
umgekommen sind."
"Betr. aus Lublin zugezogene Zigeuner, die s.Zt. auf Veranlassung des Reichskriminal-Polizeiamtes
Berlin nach dem Osten ausgesiedelt wurden. Nach Auftauchen der ersten Zigeuner
wurde sofort mit der Kriminalpolizeileitstelle Hamburg BK2-Zig. die Verhandlung
aufgenommen, um mit den daran beteiligten Dienststellen die dadurch neu geschaffene
Lage zu klären und einheitliche Maßnahmen sicher zu stellen. Z.Zt.
sind 31 Zigeuner hier gemeldet und 21 bereits wieder angezeigt. Es handelt sich
um einen Teil jener Zigeuner, die im Jahre 1940 von Hamburg aus nach dem Osten
ausgesiedelt wurden und die nun als Flüchtlinge infolge der militärischen
Ereignisse in Polen wieder zurück gekehrt und bei Verwandten oder Sippenmitgliedern
untergekommen sind. Da vom Reichssicherheitshauptamt Berlin bei der Zigeuner-Dienststelle
noch keine Anweisungen vorlagen, so hat letztere mit einem Schnellbrief um Anordnung
und bestimmte Weisung gebeten. Bis dahin soll folgendes Verfahren durchgeführt
werden: Der von Berlin aus eingesetzte Zigeunersprecher A. Weiß, Lurup
ist verpflichtet, alle zurückgekehrten Zigeuner bei der Zigeunerdienststelle
zu melden. Von hier erfolgt namentliche Überweisung an die Sonderstelle
und von da an das Amt für Raumbewirtschaftung. Hier erhalten sie vorerst
eine Anweisung an das Ernährungsamt zur Erteilung von Urlaubskarten auf
die Dauer von 14 Tagen. Während dieser Zeit ist mit der eingetroffenen
Entscheidung von Berlin zu rechnen. Gleichzeitig wurde mit dem Arbeitsamt Sägerplatz,
Herrn Schallert, Dienststelle I in der Angelegenheit Rücksprache genommen.
Herr Schallert wird die männlichen Z. in der Organisation Todt Abt. WU
unterbringen, die Frauen in der Altstoff-Industrie. Es wurde zum Ausdruck gebracht,
dass Fürsorgeaufwendungen auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt
bleiben müssen."
Die Baumaßnahmen des "Der Generalinspekor für das deutsche Straßenwesen,
Dr. Todt" für die zurückgekehrte Sinti und Roma Zwangsarbeit
leisten mussten betrafen Wohnungsbaupläne in Lurup und Eidelstedt für
mehr als 12 000 Wohnungen. Für die Standorte weiterer Wohnungen sei nördlich
der Elbe ist an Lurup, Eidelstedt und Lokstedt gedacht."
"Auf der für die Bebauung vorgesehenen Fläche Rugenbarg ist vorläufig
nur eine Vorstadtsiedlung ohne Besielung vorhanden. Es ist jedoch eine dichtere
Besiedlung vorgesehen so daß hier Besielung notwendig wird." Auch
eine "Siedlung Elbgau Siedlung Rugenbarg" im Gebiet West waren geplant.
Als Baugelände ist die Gegend zwischen Lurup und Eidelstedt in Aussicht
genommen."
Zu den Zurückgekehrten gehörte auch eine Verwandte der Händlerin
R., die vergeblich einen Gewerbeschein beantragt hatte. In der Damschkestraße
fanden sich einige dieser Überlebenden zusammen, von den Behörden
scharfäugig registriert:
"Kriminalpolizeileitstelle Hamburg 9. Februar 1945 An die Gemeindeverwaltung
der Hansestadt Hamburg Sozialverwaltung z.Hd. des Herrn Happersberger in (24)
Hamburg 1 Bieberhaus, Zimmer 621 Betrifft: zurückgekehrte Zigeuner aus
dem Generalgouvernement. Bezug: Schreiben vom 30.8.1944 zu obigem Aktenzeichen.
Nachstehend aufgeführte Zigeunermischlinge sind am 3.2.1945 us dem Generalgouvernement
zurückgekehrt und in Hamburg-Lurup, Damschkestrasse (Wohnwagen) bei ((E.
R.)) wohnhaft:" (M., A. und L. W. aus Kiel) "Kriminal Inspektor"
(Namen aus Datenschutzgründen nicht genannt, es hat sich um zwei Männer
und zwei Frauen gehandelt)
So konnten einige Sinti und Roma überleben, in der Nähe des Lederweges
gab es in den 50er Jahren in einer Kiesgrube eine eigenständige Gemeinschaft
von Sinti und Romafamilien, denen es geglückt war, dem Vernichtungsnetz
der Nationalsozialisten zu entgehen.
Heute erinnert fast nichts an die Verbrechen der Nationalsozialisten an den
Sinti und Roma in Lurup. Nur wer über den Altonaer Friedhof wandert, dem
werden vielleicht einige Sinti- und Roma Gräber begegnen. Aber kaum jemand,
der sich selbst nicht als Sinti oder Roma versteht, kennt die Geschichte, die
diese Menschen mit Lurup und Bahrenfeld verbindet. Ein Denkmal, eine Erinnerungstafel,
eine Benennung einer Straße nichts dergleichen findet sich bislang
in diesen Stadtteilen. Wäre dies nicht als Verantwortung vor der Geschichte
der Verfolgung der Sinti und Roma dringend geboten?
Mit einem herzlichen Dankeschön an das Archiv der Rom und Cinti Union e.V.
Hamburg und an das Staatsarchiv Hamburg.
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