© Anke Schulz
NS - Verbrechen in Lurup, Eidelstedt, Stellingen und Bahrenfeld
Informationsmaterial über die Gedenktafel an das Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße

© Jens Wunderlich Hamburger Bildarchiv Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße 1943,
im Vordergrund das Lager des Hoch- und Tiefbauunternehmnes Steckmeister & Co., im Hintergrund das von der DAF betriebene Lager mit Wachtürmen und Stacheldraht.

Weitere Fotos vom Zwangsarbeiterlager Lederstraße siehe http://hamburg-bildarchiv.de/0330549e2212ba405/033054a1e80e99a35/033054a4540d5d401/index.php

Dieses Foto unterliegt nicht der creative commons licence, alle Urheberrechte siehe http://hamburg-bildarchiv.de/index.php

Für das Recht, dieses Foto hier veröffentlichen zu dürfen, ein herzliches Dankeschön an Jens Wunderlich. Sie finden auf seiner Webseite viele weitere spannende Fotos zur Regionalgeschichte Hamburger Stadtteile und angrenzender Orte wie z.B. Halstenbek. Ein Klick lohnt sich!

 

 

 

In der Lederstraße bzw. am Lederweg in der Nähe des heutigen Fußballstadions befand sich nach 1940 eines der größten Lager für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen des Hamburger Raumes.

Trotz des 1939 erfolgten Protestes der Ortsgruppe Eidelstedt der NSDAP gegen ein Internierungslager für Sinti und Roma wurden nach 1942 in dieser Straße mehrere Zwangsarbeiterlager errichtet. Dies belegen zahlreiche Dokumente und Zeugenaussagen. Von Juli 1942 bis April 1943 betrieb das Hoch- und Tiefbauunternehmen Steckmeister & Co ein kleineres Lager für ca. 50 Zwangsarbeiter vor allem aus Dänemark und den Niederlanden. Ab November 1942 bestand ein von der DAF betriebenes Lager für Zivilarbeiter und ein von der Wehrmacht betriebenes Lager für russische Militärinternierte, ab 1944 auch für italienische Militärinternierte. Einem Dokument der damaligen Behörden gemäß war es auch eine Art Umschlagplatz, von dem aus Kriegsgefangene in weitere Lager verteilt wurden, diese Zahlen verdeutlichen auch die Größe des Lagers:
"40 Mann beim Bahnhof Eidelstedt im Kriegsgefangenenlager an der Lederstraße. Keine Bedenken. Das Kriegsgefangenenlager Eidelstedt wird Auffanglager für die gesamten 840 Kriegsgefangene; von dort Verteilung auf die übrige Bahnhöfe wie angegeben."

Der Nordwesten Hamburgs galt aus Sicht der nationalsozialistischen Behörden aufgrund seiner geringen Bebauung als besonders geeignet für Zwangsarbeiterlager, siehe auch hier.

 

Friedericke Littmann hat in ihrer Dissertationsschrift ‚Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939 bis 1945' im Verlag Dölling und Galitz 2006 Rechercheergebnisse über das DAF-Lager in der Lederstraße veröffentlicht, siehe auch www.zwangsarbeit-in-hamburg.de

Weitere Informationen finden Sie in der Informationsbroschüre 'Hamburger Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße 1939 - 1945' im Shaker Verlag, sowohl als e-book als auch als Buch.

1942 mussten russische Zwangsarbeiterinnen die ersten Baracken dieses Lagers bauen. "Um Benzin zu sparen, waren zur Bahnanlage besondere Anschlussgleise mit Laderampen gebaut worden, und die Frauen mussten die mit Baumaterial schwer beladenen Loren aus eigener Kraft schieben." (Littmann, a.a.O., S. 239) Oktober 1942 wurde die Belegung dieses Lagers mit 108 Russen angegeben, insgesamt seien Platz für 600 Zwangsarbeiter (Friedericke Littmann, a.a.O., S. 240). "Das ca. 5 Hektar große Gelände grenzte im Norden an die Eidelstedter Fischmehlfabrik und an die daneben liegende neue Kläranlage, im Osten an die Lederstraße an und im Süden reichte es bis zu einer Gartenkolonie. Die Westgrenze war der Hogenfeldweg." (a.a.O. S. 555)
Die ZivilarbeiterInnen mussten für Industriebetriebe des Industriegebietes stellinger Moor arbeiten, vor allem für Rüstungsunternehmen wie einer Zweigstelle von Menck und Hambrock in der Schnackenburgallee und der Leuchtmunitionsfabrick Berkcholtz. Nach den Luftangriffen der Alliierten auf die Gleisanlagen Juli 1943 wurde das Lager völlig zerstört und musste in kürzester Zeit von den "Ostarbeitern" wieder aufgebaut werden. August 1943 führte die Gestapo zahlreiche Sondermaßnahmen auch an Zwangsarbeitern des Lagers Lederstraße in den nahegelegenen Winsbergen durch.
Anfang August 1943 wurden sechs oder acht Ostarbeiter aus dem Lager geholt und mit Ostarbeitern aus anderen Lagern in der Kiesgrube in den Windsbergen erschossen. Insgesamt sollen es nach der Erinnerung des Lagerleiters Lederstraße, Meyer, 24 Personen gewesen sein. Nach Angaben des im Lager für die Aufstellung der Arbeitskommandos, Essensausgabe und Bekleidung Zuständigen waren drei Ausländer des Lagers bei einem Schlachter in der Randstraße mit Aufräumungsarbeiten nach einem Bombenschaden beschäftigt gewesen. Der Hausbesitzer kam anschließend ins Lager und meldete den Verlust von zwei Oberhemden. Meyer verständigte sofort die Gestapo und beschuldigte die betreffenden Männer der Plünderei. Am folgenden Tag erschienen Schweim und weitere Gestapobeamte, ließen zum Appell antreten, durchsuchten das Lager und fanden dabei noch einige andere Kleidungsstücke sowie Fischkonserven. Schweim ließ die etwa 150 Frauen und Männer, bei denen Dinge gefunden worden waren, auf dem Appellplatz antreten und wollte sie alle abführen lassen. Als ihm gesagt wurde, die Kleidungsstücke seien an die Ausländer ausgegeben worden, sortierte er sechs Frauen und 24 Männer aus und ließ sie auf einem Lastwagen abtransportieren. Einige Tage später mussten mehrere Frauen des Lagers in den Windsbergen, einem brachliegenden Gelände, das vom Lager Lederstraße fußläufig zu erreichen war, ein großes Loch graben. Schweim hatte das Gelände zuvor in Begleitung des Lohnbuchhalters der »Bauhilfe« inspiziert und den Platz markiert, an dem eine Grube von 10 Metern Länge und 2 Metern Breite etwa 2 Meter tief ausgehoben werden sollte. Am Tag der Exekution hatten alle Männer des Lagers an den Erschießungen teilzunehmen, bevor sie, wie gewohnt, von Lastwagen abgeholt und zu ihren Arbeitsplätzen gebracht wurden.
Die Lagerführer mehrerer Lager, aus denen Menschen hingerichtet wurden, sowie Kommissar Schweim und weitere Gestapobeamte waren anwesend. Nach dem Krieg berichtete ein Angestellter der Gesamthafenbetriebsgesellschaft, dass auch drei russische und drei lettische Zwangsarbeiter dieses Unternehmens zu den Opfern gezählt hatten. Schweim selbst führte die ausländischen Zwangsarbeiter dieser Lager, die der Exekution beiwohnen mussten, zum Hinrichtungsgelände. Nach Aussagen eines Lastwagenfahrers der MAN Motorenwerke Hamburg, einem Rüstungsunternehmen, das vor den Angriffen 1.080 Ukrainer und Russen als beschäftigt gemeldet hatte musste er ungefähr 150 russische Männer, die vom Leiter des Werkschutzes ausgewählt worden waren, von Wilhelmsburg zum Hinrichtungsort in Eidelstedt fahren. Diesen Zwangsarbeitern wurde nichts zur Last gelegt, sie sollten der Hinrichtung aus Gründen reiner Abschreckung beiwohnen. Dort hatten sie sich in einem Karree aufzustellen und einem Dolmetscher zuzuhören, der den Sachverhalt in russischer Sprache darstellte. Den Männern wurden außer Plünderei unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse Sabotagehandlungen und der Aufbau einer Sabotage-Organisation in Hamburg vorgeworfen. Nach der Ansprache des Dolmetschers wurden je drei aneinander gefesselte Ostarbeiter an den Rand der Grube geführt und von einem Kommando aus neun flämischen Waffen-SS-Leuten aus der Waffen-SS-Kaserne in Langenhorn erschossen. Einige Zeit später fanden weitere Erschießungen statt Der Fahrer der MAN erinnerte sich, wieder etwa 150 Zwangsarbeiter mit seinem Lastwagen zur gleichen Stelle gefahren zu haben. Er habe gehört, dass dieses Mal ausländische Arbeiter der Wilhelmsburger Zinnwerke exekutiert wurden, denen man Plünderei und Sabotage vorwerfe. Ihre Leichen seien aber nicht dort vergraben, sondern mit einem Lastwagen weggefahren worden. Kommissar Schweim bestätigte diese Aussage. Das Erschießungskommando sei dieses Mai vom KZ Neuengamme gestellt, die Leichen in die Anatomie transportiert worden." (Littmann, a.a.O., S. 554-556)

Die Zwangsarbeiter aus Wilhelmsburg, die 1943 in den Winsbergen erschossen wurden, kamen nach Recherchen von Martin Reiter aus einem der vier Zwangsarbeiterlager im Langen Morgen, siehe auch http://www.zwangsarbeit-in-hamburg.de/ Dabei handelte es sich nicht, wie irrtümlich von mir auf einem Rundgang mündlich vorgetragen, um das Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg im Langen Morgen. Der Erschießungsort befand sich nach Aussage eines Zeitzeugen in der Nähe des heutigen Parkplatzes Braun nahe der heutigen Schnackenburgallee. Über weitere Hinweise über den genauen Ort der Erschießung würde ich mich sehr freuen, Kontakt siehe hier


Das Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße gehörten zu den größten Lagern der Stadt Hamburgs in der NS - Zeit ab ca. 1942. Diese Zusammenhänge sollten durch eine Gedenktafel in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden. Weitere Informationen über die Gedenktafel finden Sie hier.

Angesichts des Wiedererstarkens der Rechtsextremisten auch im Nordwesten Hamburgs sind Gedenktafeln wichtige Zeichen der Verantwortung gegenüber den Opfern des Faschismus, die es entgegen allen bis heute standhaft vertretenen Verleugnungen auch in dieser Region gegeben hat.

 

 

Ein Lager in der Lederstraße war schon vor 1939 vor allem von der Behörde für Arbeit als allgemeines Sammellager für "Zigeuner" zur Bewältigung der "Zigeunerplage" vorgeschlagen worden, weil durch die Kiesgruben nahe dem Volkspark der Einsatz der Zigeuner als Zwangsarbeiter volkswirtschaftlich besonders effektiv sei. In Akten aus dem Bestand der Sozialbehörde I aus dem Staatsarchiv Hamburg findet sich ein Protokoll, in dem Behördenvertreter ein Arbeitslager für Sinti und Roma diskutieren: "Obersenator Schumann ... hält eine Ecke Eidelstedt/Lurup für zweckmäßig für die Unterbringung, weil auch hier genügend Arbeitsmöglichkeiten vorhanden seien"
In einem Vermerk vom Obersenator Börinkmann vom 24. April 1939 heißt es: "Für den Fall der Zusammenfassung möchte ich nun ein Gelände in Eidelstedt, gelegen am Lederweg, in Vorschlag bringen. Dieses Gelände ist für die Errichtung eines Lagers groß genug und hat vor allen Dingen den Vorzug, das in unmittelbarer Nähe ein Hartsteinwerk ist, das ferner sich dort geeignete Kiesgruben und mehrere Futter- und Düngemittelfabriken befinden, in denen die Zigeuner eingesetzt werden können. Darüber hinaus besteht eine gute Verbindung von hier aus in das Gebiet der Baumschule. Privathäuser befinden sich in dieser Gegend kaum. Vom Standpunkt des Arbeitseinsatzes aus ist also diese Gegend günstig, auch ist hier nicht mit Widersprüchen von Anliegern gegen die Zusammenfassung auf diesem Gelände, abgesehen vielleicht von einigen wenigen Schrebergärtnern, zu rechnen. Zu bemerken ist noch, dass nach meiner Information das Gelände Eigentum der Gemeinde ist. Zu überlegen wäre noch eine Mittellösung, die darin besteht, dass man zunächst die Zigeuner mit Wohnwagen hier zusammenfaßt."
"Der von der Sozialverwaltung in Eidelstedt vorläufig in Aussicht genommene Platz für eine evtl. lagermäßige Zusammenfassung wurde von Oberregierungsrat Bierkamp im übrigen auch für geeignet gehalten. Die Wahl dieses Platzes wurde besonders begrüßt, weil auch dort gute Arbeitseinsatzmöglichkeiten für die Zigeuner mit ihren Angehörigen wohl vorhanden seien."

Der Lederweg, heute Lederstraße, befand sich in der Nähe der Damaschkestraße (heute Farnhornweg) und den Siedlungen Morgenröthe und Elbkamp. Tatsächlich berichteten 2001 von mir interviewte Zeitzeuginnen, dass sich in dieses Gebiet ab 1939 sehr viele Sinti und Roma mit Wohnwagen begeben hatten. Als Sammellager für die gesamten in Hamburg wohnenden Sinti und Roma wurde diese Fläche mit Hinweis auf städtebauliche Erwägungen jedoch nicht weiter ausgebaut. Auf einer Besprechung am 3. Juli 1939 kam es zum Beschluß, eine Fläche in Öjendorf dafür auszuwählen.
Außerdem hatte die Ortsgruppe des Kreis Hamburg 7 (Eidelstedt) der N.S.D.A.P Protest gegen das geplante Lager in der Lederstraße angemeldet.

Auch für die zahlreichen Luruper Sinti und Roma wären Zeichen des Gedenkens wie Straßenbezeichnungen oder Gedenktafeln eine - wenn auch nur symbolische Form - der Würdigung. Den NS - Akten sind zahlreiche Namen zu entnehmen, darunter viele, die in Ausschwitz umkamen. Es gab auch Überlebende, die ebenfalls in Akten Erwähnung fanden. In der Damschkestraße (heute Farnhornweg) fanden sich einige dieser Überlebenden zusammen, von den Behörden scharfäugig registriert:
"Kriminalpolizeileitstelle Hamburg 9. Februar 1945 An die Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg Sozialverwaltung z.Hd. des Herrn Happersberger in (24) Hamburg 1 Bieberhaus, Zimmer 621 Betrifft: zurückgekehrte Zigeuner aus dem Generalgouvernement. Bezug: Schreiben vom 30.8.1944 zu obigem Aktenzeichen. Nachstehend aufgeführte Zigeunermischlinge sind am 3.2.1945 aus dem Generalgouvernement zurückgekehrt und in Hamburg-Lurup, Damschkestrasse (Wohnwagen) bei E. R. wohnhaft:" (M.., A. und L. W.. aus Kiel) "Kriminal Inspektor" (Die Namen dürfen nach Auflagen des Staatsarchivs aus Datenschutzgründen nicht genannt werden, es hat sich um zwei Männer und zwei Frauen gehandelt)
So konnten einige Sinti und Roma überleben, in der Nähe des Lederweges gab es in den 50er Jahren in einer Kiesgrube eine eigenständige Gemeinschaft von Sinti und Romafamilien, denen es geglückt war, dem Vernichtungsnetz der Nationalsozialisten zu entgehen. Es wäre schön, wenn das Wissen über ihre Schicksalswege nicht verloren gehen würde.

Weitere Informationen über Cinti und Roma in Lurup und Bahrenfeld finden Sie hier.

Im Rahmen der Stadtteilrundgänge des Stadtteilarchivs Ottensens führe ich Rundgänge auch über die Lager in der Lederstraße durch, siehe hier.

 

 

 

 

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